Grundprinzip
Alle Varianten der Gleichgewichtsumlegung in Visum verwenden CR-Funktionen für Strecken und Abbieger, um den mit der Belastung steigenden Widerstand zu modellieren. Bei Modellen für städtische Netze kommt den Abbieger-CR-Funktionen dabei besondere Wichtigkeit zu, weil die Knoten stärker als die Strecken die Leistungsfähigkeit des Netzes bestimmen. Die mathematische Formulierung des Umlegungsproblems unterstellt, dass der durch die CR-Funktionen berechnete Widerstand ausschließlich von der Belastung und der Kapazität des einzelnen Netzobjekts (zum Beispiel Strecke, Abbieger) abhängt. CR-Funktionen mit dieser Eigenschaft werden separabel genannt. Das gilt in der Realität näherungsweise für Strecken, jedoch nicht für Abbieger an Knoten. Typische Gegenbeispiele sind bedingt verträgliche Abbieger an signalisierten Knoten oder Abbieger aus untergeordneten Zufahrten an vorfahrtsgeregelten Knoten. In diesen Fällen hängt der Widerstand nicht nur von der Belastung des Abbiegers selbst ab, sondern auch von der Stärke der Konfliktströme, also von Belastungen anderer Abbieger. Die zugehörigen CR-Funktionen können also nicht mehr separabel sein. Dies ist ein Problem für die mathematische Lösung des Umlegungsproblems, da Existenz und Eindeutigkeit der Gleichgewichtslösung separable CR-Funktionen voraussetzen.
Aus dieser Beobachtung leiten sich zwei Anforderungen ab:
- Eine realistische Widerstandsmodellierung für Knoten setzt voraus, dass Knoten so detailliert modelliert sind, dass Konflikte zwischen Abbiegern korrekt erkannt werden. Auf Visum übertragen bedeutet das, dass Sie für diese Knoten Geometrie und Steuerung mit dem Knoteneditor modellieren. Dann können mit Intersection Capacity Analysis (ICA) genaue Abbiegewiderstände und -kapazitäten berechnet werden.
- Mangels Separabilität können die mit ICA berechneten Werte nicht unmittelbar als Ersatz für CR-Funktionen im Umlegungsverfahren eingesetzt werden, denn dann würde die Konvergenz verloren gehen.
Abbildung 102: Grundprinzip der Umlegung mit ICA
Die Umlegung mit ICA umgeht das Problem der Separabilität durch einen Näherungsansatz. Das Verfahren besteht aus einem Wechselspiel zwischen einem Gleichgewichtsumlegungsverfahren (mit konventionellen CR-Funktionen) und der Knotenwiderstandsberechnung (ICA). Zunächst werden durch die Gleichgewichtsumlegung u.a. Abbiegebelastungen ermittelt. Die Rückstauberechnung nach der Umlegung stellt sicher, dass die für ICA als Eingabewerte verwendeten Belastungen realistischen Werten entsprechen, d.h. nicht im überlasteten Bereich liegen. Mit ICA werden dann Abbiegerkapazitäten und Abbiegewartezeiten für die Belastungen ermittelt. Im Anschluss wird für jeden einzelnen Abbieger die Belastung variiert, die Belastung der anderen Abbieger am gleichen Knoten jedoch fixiert, um Wartezeiten für andere Belastungszustände zu ermitteln. Für jeden Abbieger wird aus den ermittelten Wartezeiten durch Interpolation eine CR-Funktion geschätzt. Diese abbiegerfeinen CR-Funktionen werden nun für die nächste Gleichgewichtsumlegung verwendet. Sie beschreiben die Abhängigkeit des Widerstands allein von der Belastung des Abbiegers bei als konstant angenommenen Konfliktströmen. Der Effekt der Konfliktströme wird damit aus Sicht der Umlegung „eingefroren”, bis diese (nach weiteren Gleichgewichtsiterationen) bei der nächsten ICA-Berechnung ebenfalls aktualisiert werden. Dadurch werden die CR-Funktionen jeweils für einige Iterationen stabilisiert, was die Konvergenz begünstigt. Durch die Rückstauberechnung nach der Umlegung entstehen zusätzliche Wartezeiten auf Strecken mit Stau. Als Folge eines Staus fließt auch weniger Verkehr stromabwärts. Beide Effekte müssen die Routensuche und Routenwahl der folgenden Gleichgewichtsumlegung beeinflussen. Auf Strecken, auf denen ein Stau beobachtet werden kann, wird die jeweilige Strecken CR-Funktion so angepasst, dass die Wartezeit aus der Rückstauberechnung in der CR-Funktion reproduziert wird. Dazu wird zunächst die effektive Kapazität für diese Strecken ermittelt. Im Unterschied zur Kapazität der Strecke berücksichtigt die effektive Kapazität den tatsächlichen Durchfluss einer Strecke, der durch Rückstaueffekte unterhalb der Kapazität liegen kann, d.h. die in der CR-Funktion verwendete Kapazität wird herabgesetzt. Der Effekt von durch Stau zurückgehaltenem Verkehr wird durch eine horizontale Verschiebung der CR-Funktionen abgebildet. Die Rückkopplungsschleife zwischen Umlegung und ICA endet, wenn die mit der abbiegerfeinen CR-Funktion bzw. ICA berechneten Widerstände sich nicht mehr wesentlich unterscheiden. Für Anbindungen und Strecken, auf denen keine Rückstaueffekte wirksam werden, verwendet die Umlegung mit ICA die definierten CR-Funktionen. Ihre Parameter sind insbesondere nicht vom einzelnen Netzobjekt abhängig, sondern hängen (wie im Falle von Strecken) nur vom Streckentyp ab.